Er kannte noch das alte Adelsheim – und prägte das neue mit
Zum Tod von Reinhold Haag, der über 100 Jahre Zeitgeschichte mit Leben füllte.
Reinhold Haag hat Generationen kommen und gehen sehen – und dabei selbst immer fest im Leben gestanden. Am vergangenen Wochenende, ist er im Alter von 104 Jahren verstorben. Nur fünf Tage vor seinem 105. Geburtstag. Die Rhein-Neckar-Zeitung berichtete am 28. Juni über seinen Tod. Mit ihm verliert Adelsheim nicht nur seinen ältesten Mitbürger, sondern auch einen Zeitzeugen von Format, der das Leben in der Stadt über Jahrzehnte hinweg mitgeprägt hat: durch seine Lebensfreude, seine Freundlichkeit, seinen Humor – und seine tiefe Verbundenheit zu "seinem" Städtle.
■ In der Rietstraße wurzeln seine Geschichten
Geboren wurde Reinhold Haag am 27. Juni 1920 in Esslingen. Als seine Familie Ende der 1920er-Jahre nach Adelsheim zog, um die Druckerei und den Verlag des „Bauländer Boten“ zu übernehmen, begann für ihn ein neues Kapitel – eines, das fast ein ganzes Jahrhundert andauern sollte. Die Rietstraße wurde sein Zuhause, das Setzerhandwerk seine Leidenschaft. Und obwohl er später noch studierte, den Meistertitel erwarb und den Familienbetrieb mit großem Geschick führte, blieb Reinhold Haag vor allem eines: bodenständig.
Er war kein Mann der Bühne – aber einer der Substanz. 15 Lehrlinge bildete er aus, zahlreiche Adelsheimer lernten bei ihm nicht nur einen Beruf, sondern auch Haltung, Disziplin und Menschlichkeit. In einer Stadt wie Adelsheim, in der man sich kennt, war Reinhold Haag über Jahrzehnte hinweg eine feste Größe.
■ Heimat, Pflicht und eine Prise Humor
Wer mit Reinhold Haag sprach, begegnete einem feinen Beobachter, der viel erlebt hatte und trotzdem nie verbittert war. Als Gebirgsjäger war er im Zweiten Weltkrieg in Russland, Finnland und Norwegen im Einsatz. Ein Minenunglück auf See überlebte er nur knapp, 1945 kam er in Kriegsgefangenschaft – doch er kehrte zurück. Heim nach Adelsheim. Hier wartete Johanna, die Frau, die er seit Kindertagen kannte. Mit ihr teilte er sein Leben und seine Liebe zur Heimat.
Trotz allem, was er erlebt hatte, blieb er ein lebensfroher Mensch. Wer ihn kannte, erinnert sich an sein verschmitztes Lächeln, an seine freundliche Art – und an seinen Humor. Selbst mit über 100 Jahren war er wach, interessiert und erstaunlich modern im Denken. Oft traf man ihn beim Spaziergang durch die Stadt, im Eiscafé, bei Gottesdiensten oder Veranstaltungen.
Und morgens? Da griff er als Erstes zur Zeitung – die Rhein-Neckar-Zeitung gehörte für ihn einfach dazu. Besonders die Bauland-Seite las er mit großer Aufmerksamkeit. Sie verband ihn mit seiner Stadt, mit dem, was war, und dem, was kommt.
Am sozialen und kulturellen Leben in Adelsheim nahm Reinhold Haag gern teil. So begeistert ihn auch die Videokunst-Ausstellung „Adelsheim leuchtet“ im Schlosspark. Was Baron Louis von Adelsheim dort immer wieder mit Licht, Video und Musik erschaffen hatte, beeindruckte ihn tief. So sehr, dass er 2022 sogar selbst Teil der Ausstellung war – als Adelsheimer, der in einer Installation zu Fragen des Lebens zu Wort kam.
■ Ehrenamt war für ihn selbstverständlich
Was heute unter „gesellschaftlichem Engagement“ läuft, war für Reinhold Haag einfach ein Teil des Lebens. Seit 1946 war er Mitglied im Sportverein, er sang 70 Jahre lang im Gesangverein, half bei der Wiedergründung nach dem Krieg, wurde Ehrenmitglied. Er engagierte sich bei der DLRG, war förderndes Mitglied beim DRK, beim VdK oder den Adelsheimer Schützen – letzteren gehörte er, mit einer kleinen kriegsbedingten Unterbrechung, mehr als 90 Jahre lang an.
Und dann war da noch die „Schlaraffia“, jener weltweite Freundeskreis für Männer mit Sinn für Kunst, Freundschaft und Humor. Noch mit über 100 Jahren fuhr er selbst mit dem Auto zu den Treffen nach Mosbach – das war für ihn keine Frage des Alters, sondern des Interesses.
■ Erinnern, erzählen, weitergeben
Diese Aufgeschlossenheit zeigte sich auch 2022, als Reinhold Haag zu Gast im Baulandperlen-Podcast war. Obwohl er zunächst gar nicht wusste, was ein Podcast eigentlich ist, sprach er mit Begeisterung über sein Leben, seine Arbeit als Setzer und seine Erinnerungen an das alte Adelsheim. Nach dem Gespräch war er sichtlich berührt – dass man sich für seine Geschichten noch interessierte und das er so etwas noch erleben durfte, erfüllte ihn mit Freude. So entstand ein kleines digitales Zeitdokument, das bleibt.
Diese Offenheit, diese Freude an Begegnung und Austausch, war typisch für ihn. Reinhold Haag hatte keine Angst vor der Zukunft – und keine Bitterkeit über die Vergangenheit. Seine Haltung war klar: neugierig bleiben, dankbar sein und den Moment schätzen. Auch im hohen Alter.
■ Adelsheim sagt Danke
Mit Reinhold Haag ist ein Mensch gegangen, der viel gesehen hat – und trotzdem nie müde wurde, hinzuschauen. Der mit 104 Jahren nicht nur Geschichten erzählte, sondern selbst Teil vieler Geschichten war. Der Adelsheim nicht nur seine Heimat nannte, sondern es gelebt hat – Tag für Tag, ganz selbstverständlich.
Sein Leben war ein Geschenk für seine Stadt. Für die Vereine, die Nachbarn, die Gespräche am Straßenrand. Für all jene, die ihm begegnet sind und ihn in guter Erinnerung behalten werden.
Wir sagen leise: Mach’s gut, Herr Haag. Sie waren einer von denen, die bleiben.